
Lasst uns einmal ganz von vorne anfangen: Was ist XABO und wofür oder eher wogegen wird er genutzt?
Lucas: Eine der Hauptkomplikationen bei der Implantation von Shunts zur Therapie des Hydrocephalus ist die Infektion des Shunts nach der Operation. Dabei setzen sich Bakterien auf der Oberfläche des Shuntsystems fest, die dort von der körpereigenen Immunabwehr nicht angegriffen werden können. Bakterien können, wenn sie sich einmal auf einem „körperfremden“ Objekt festgesetzt haben, eine Art Schutzschild um sich herum bilden, dass von unserem Immunsystem nicht mehr einfach durchdrungen werden kann. Um diese Infektion zu verhindern, ist es hilfreich, einen Shunt so auszustatten, dass er einen Infektionsschutz bietet. Das erreicht man zum Beispiel mit antibiotisch-imprägnierten Kathetern. So ein Katheter ist XABO. Katheter wie XABO sind die Chance, diese sehr kritische Komplikation zu adressieren und weniger häufig auftreten zu lassen.
Gibt es denn schon wissenschaftliche Evidenz für Katheter dieser Art?
Lucas: Ja, die gibt es und auch schon einige Jahre klinische Erfahrung mit solchen Kathetern von anderen Herstellern. Derartig gestaltete Katheter haben gezeigt, dass sie die Infektionsrate signifikant senken können. Das ist gelungen in einer Studie mit dem Titel BASICS, die in England gelaufen ist und unter der Leitung von Herrn Dr. Conor Mallucci an verschiedenen Kliniken durchgeführt wurde.
XABO ist also dazu gedacht, Bakterien und damit Infektionen zu bekämpfen. Wirkt XABO gegen alle Bakterien oder nur gegen spezifische?
Tom:XABO enthält die Antibiotika Rifampicin und Clindamycin Hydrochlorid. Diese beiden Antibiotika sind vornehmlich gegen gram-positive Bakterien wirksam.
Gram-positive Bakterien. Was kann man sich denn darunter als Laie vorstellen?
Tom: Abhängig davon, wie ihre äußere Hülle aufgebaut ist, kann man Bakterien in zwei Aufbauarten unterscheiden. Mit einer Färbetechnik, der sogenannten Gram-Färbung, kann man Bakterien färben. Abhängig davon, ob sie sich färben lassen oder nicht, spricht man von gram-positiven oder gram-negativen Bakterien. Es ist jetzt nicht so, dass die einen mehr oder weniger gefährlich wären, sondern diese Färbung dient alleine der klinischen Unterscheidung. Davon abhängig ist es auch, wie empfindlich diese Bakterien gegen bestimmte Antibiotika sind.
Lucas: Man weiß, dass die Bakterien, die am relevantesten für die Infektion von Shunts sind, diejenigen sind, die auf der Haut sitzen – Staphylokokkus epidermis – und die in der Luft – Staphylokokkus aureus. Die beiden sind für über 60% der Shuntinfektionen verantwortlich und beide gehören zu den gram-positiven Bakterien. Sie können durch Kontakt mit der Luft, Haut oder Blut während der Operation auf die sterilen Katheter und Ventile verschleppt werden. Es können aber natürlich auch andere Bakterien bei der Infektion von Implantaten, auch bei Hydrocephalus Shunts, eine Rolle spielen. Darunter fallen dann auch gram-negative Bakterien wie die vielleicht bekannten E.coli.
Anders ausgedrückt: Ungefähr 2/3 der Shuntinfektionen entstehen also durch gram-positive Bakterien und gegen diesen Anteil an Bakterien sind die beiden Antibiotika in XABO wirksam?
Lucas: Ja, der Großteil von Shuntinfektionen wird von gram-positiven Bakterien verursacht. Die beiden Antibiotika in XABO sind daher sehr sinnvoll, weil sie einerseits gegen die relevantesten Bakterien wirken und andererseits diese beiden Antibiotika zwei unterschiedliche Wirkmechanismen gegen die gleichen Zielorganismen haben. Die beiden Antibiotika unterscheiden sich darin, wie sie funktionieren, aber greifen die gleichen Bakterien an. Die Folge davon ist, dass sie sich in ihrer Wirkung sogar unterstützen. Es gibt Publikationen, die zeigen, dass diese beiden Antibiotika zusammen sogar eher einen Synergieeffekt haben. 1 plus 1 ist da ein bisschen mehr als 2.
Tom: Ein weiterer wichtiger Effekt ist, dass durch die Nutzung der beiden Antibiotika Resistenzen verhindert werden. Gegen Rifampicin entwickeln sich relativ schnell Resistenzen. Deswegen ist es sehr wichtig, dass ein anderes Antibiotikum zugegen ist, welches dieselben Bakterien bekämpft und damit die Resistenz verhindert.
Wann kam denn zum ersten Mal der Gedanke auf, dass MIETHKE auch einen antibiotischen Katheter braucht? Wieso haben wir ihn entwickelt?
Lucas: Aus rein fachlicher Sicht: Infektionsrate senken ergibt Sinn. Kein Zweifel. Und es ist ganz klar gezeigt, dass systemische Antibiotikagabe oral oder intravenös nicht ausreichend gut funktioniert, wenn durch Bakterienverschleppung während der OP Bakterien eingebracht werden. Wenn auf einer Implantat-Oberfläche eine Infektion aufgetreten ist, kann man systemisch kaum etwas bewirken. Egal ob Hydrocephalus-Shunt oder Hüftimplantat. Das Implantat muss raus, weil man die Infektion sonst nicht behandelt bekommt. Das hat für die Patient*innen gravierende Folgen, denn schlussendlich führt eine Infektion zu einer herausfordernden Revision.
Tom: …und die muss nicht sein. Revisionen sind zum Teil notwendig, aber wegen einer Infektion sollten es so wenige wie möglich sein.
Lucas: Die Behandlung einer solchen Infektion ist sehr aufwendig. Die Betroffenen müssen nicht selten über einen längeren Zeitraum auf der Intensivstation behandelt werden, bis die Infektion komplett abgeklungen ist. Erst dann kann eine Revisions-OP stattfinden, die nach aktueller Studienlage wiederum mit einem erhöhten Infektionsrisiko verbunden ist. Und darin liegt auch die Motivation für so einen Katheter: Infektionen verhindern und damit die Lebensqualität der Hydrocephalus Patient*innen steigern.
Antibiotika werden aber ja auch immer wieder mit Sorge betrachtet. Wie sieht es denn hier mit der ganzen Fragestellung rund um Antibiotika-resistente Keime aus?
Lucas: Die in den Medien immer wieder zu lesende Kritik an der Verwendung von Antibiotika ist sicher nicht unbegründet – man denke an die Berichterstattung über den Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft und der Agrar-Industrie. Es werden bestimmt Antibiotika gegeben und verschrieben, obwohl es keinen Sinn ergibt. Das steht aber nicht im Widerspruch dazu, dass es für unsere heutige Medizin essentiell ist, dass es Antibiotika gibt. Nur dadurch können bestimmte Operationen überhaupt durchgeführt werden. Denn sie töten mit ganz wenigen Nebenwirkungen zielgerichtet Bakterien ab und haben damit einen hohen Nutzwert. Bei XABO sind die Antibiotika zudem in einer sehr geringen Menge enthalten, viel weniger als bei systemischer Gabe notwendig wäre, und genau an dem Ort platziert, wo sie zur Infektionsprophylaxe gebraucht werden: Auf der Katheter-Oberfläche. Ein sehr, sehr sinnvoller und sparsamer Einsatz von Antibiotika.
Ersetzt denn dieser antibiotisch-imprägnierte Katheter systemische Antibiotika, also solche die oral oder per Infusion gegeben werden?
Lucas: Die Antwort ist ein klares „jein“: Systemische Anwendung ergibt natürlich bei systemischen Infektionen oder dort, wo lokale Anwendungen nicht ausreichen, Sinn. Andererseits ist es so, dass systemische Antibiotikagabe gegen dieses spezifische Problem der Infektion auf Implantaten nichts ausrichten kann. Es gibt Studien, in denen den Patient*innen vor Implantation mehrere Tage Antibiotika gegeben wurden, um schon im Vorfeld die Zahl der Bakterien zu verringern. Doch auch das hat keinen nachweisbaren Einfluss auf die Infektionsraten gehabt. Auch in der Therapie von aufgetretenen Infektionen konnte klar gezeigt werden, dass systemische Gabe alleine für diesen speziellen Anwendungsfall nicht hilft. Bei intravenöser oder oraler Gabe von Antibiotika erreicht man auf der Oberfläche der Implantate meist gar keine ausreichende Konzentration. Viele Antibiotika können zudem die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden und kommen daher nicht in den Bereich, wo sich beispielsweise bei einem Ventrikelkatheter die Infektion abspielt. Weiter ist es so, dass die Bakterien es schaffen, „in Deckung zu gehen“, wenn ein Antibiotikum kommt. Sie können auf der Implantat-Oberfläche einen Biofilm ausbilden und sich dadurch für eine Zeit vor Antibiotika schützen. Genau wie sie sich vor der Immunabwehr schützen.
Also, die Bakterien setzen sich quasi auf das Implantat, bauen sich mit dem Biofilm eine Art kleine Rüstung, ein Schutzschild, um sich herum und dann können der Körper und das systemische Antibiotikum von außen erst einmal nichts mehr tun.
Lucas: Genau. Das ist für verschiedenste Implantate sehr schön untersucht und da können auch systemische Antibiotika nichts gegen tun. Deswegen ist es sinnvoll, dass Antibiotikum so zu platzieren, dass es an der Grenzschicht zwischen Implantat und umliegendem Gewebe zielgerichtet wirken kann.
Ließen sich denn diese Infektionen auch anders verhindern?
Lucas: Ja und nein. Auf jeden Fall kann man durch Maßnahmen im OP die Auftretungswahrscheinlichkeit einer Infektion des Shunts signifikant reduzieren. Das konnte in einer Reihe an Publikationen gezeigt werden. Dazu gehören Maßnahmen rund um die Hygiene, Vorbereitung des Operationsgebiets, die Erfahrung des Arztes oder der Ärztin, unterschiedliche Handlungsweisen während der OP. Es gibt viele Möglichkeiten, da Einfluss zu nehmen. Aber diese Einflussmöglichkeiten können das Risiko nicht auf null senken.
Tom: In Zahlen ausgedrückt heißt das, es gibt heute ein Spektrum bei konventionellen Shunts mit Infektionsraten von 6-12%, so in dieser Größenordnung. Eine Klinik im Bereich der 6% Infektionsrate bei konventionellen Shunts ist gut und hat wahrscheinlich schon viele der Maßnahmen umgesetzt. Aber sie kommen aus unterschiedlichen Gründen nicht weiter runter. Hier kann XABO zum Einsatz kommen, weil der unterstützt, um die Infektionsraten weiter zu senken.
Gibt es denn Patient*innen-Gruppen, für die XABO besonders geeignet ist?
Lucas: Ich würde erst einmal sagen: eigentlich jede*r. Es gibt keine Ausschlusskriterien außer bekannte Allergien gegen die Antibiotika. Aber davon abgesehen ist das Produkt geprüft sicher und leistungsfähig für Kleinkinder, Kinder und Erwachsene. Die in Bezug auf Infektionen anfälligste Gruppe sind aber die Kleinsten, die Neonaten, und deswegen ist ein antibakteriell ausgestatteter Katheter, denke ich, für diese Patient*innengruppe am relevantesten.
Danke für eure vielen Antworten. Zum Schluss eine persönliche Frage an euch: XABO hat euch beide ja schon mehr oder weniger lange aber sicherlich intensiv begleitet. Was ist eure schönste Erinnerung, euer schönster Moment?
Lucas: Oh, ich glaub es gab viele. Vom ersten funktionierenden Prototyp bis zu unterschiedlichen Teilen der Zulassung. Das ganze Projekt hatte viele positive Momente.
Tom: Ich war ja jetzt hauptsächlich bei der Vorbereitung der Serienproduktion dabei und das war auch eine echte Herausforderung für uns, weil es ein vollkommen neuer Prozess ist. Und vielleicht ist es gerade das, was es jetzt besonders macht: Das mit dem Team so zu schaffen: Hut ab und danke an alle, die das begleitet haben!
Lucas: …und für mich kommen jetzt auch immer wieder weiter positive Sachen, weil Tom so Emails schreibt wie: „Jetzt geht es los. Jetzt startet die Serienfertigung!“ Das ist cool!
Vielen Dank für eure Zeit und viel Erfolg auf der Zielgeraden!